Verkehrsrecht: Reparaturkostenkürzung der Versicherungen zulässig?
Der BGH nimmt umfassend zur Frage Stellung, inwiefern sich ein Geschädigter bei fiktiver Schadenabrechnung auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt verweisen lassen muss.
Urteil des BGH:
Stundenverrechnungssätze markengebundener Fachwerkstätten Urteilsbesprechung mit Praxishinweis: BGH, Urt. v. 20.10.2009 — VI ZR 53/09
Darum geht es
Der Kläger macht gegen den Beklagten restlichen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall geltend. Hierbei wurde das Fahrzeug des Klägers, ein zum Unfallzeitpunkt ca. 9 1/2 Jahre alter VW Golf mit einer Laufleistung von über 90.000 km, beschädigt. Die Haftung des Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Es ging nur noch um die Frage, ob sich der Kläger im Rahmen der fiktiven Abrechnung seines Fahrzeugschadens auf niedrigere Stundenverrechnungssätze einer ihm vom Schädiger bzw. von dessen Haftpflichtversicherer benannten „freien Karosseriefachwerkstatt“ verweisen lassen muss oder ob er auf der Grundlage des von ihm vorgelegten Sachverständigengutachtens die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen VW-Fachwerkstatt erstattet verlangen kann.
Der Haftpflichtversicherer des Beklagtenfahrzeugs hat die Stundenverrechnungssätze (Arbeitslohn und Lackierkosten) entsprechend den günstigeren Preisen der benannten freien Reparaturwerkstatt um insgesamt 220,54 € gekürzt. Dieser Differenzbetrag ist Gegenstand der vorliegenden Klage. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die zugelassene Berufung des Klägers hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage antragsgemäß stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrte der Beklagte eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der BGH hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
In der Begründung seiner Entscheidung verweist der BGH zunächst auf das Porsche-Urteil (BGHZ 155, 1 ff.).
Im Grundsatz gilt folgendes:
Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadenersatz zu leisten, kann der Geschädigte vom Schädiger gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Im Reparaturfalle leistet der Geschädigte entsprechend dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Allgemein genügt es, wenn der Geschädigte sich in den für die Schadenbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen bewegt und er der Schadenabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Hat der Geschädigte den vorbeschriebenen Weg der Schadenberechnung gewählt und genügt er damit bereits dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, so begründen besondere Umstände, wie das Alter des Fahrzeugs oder seine Laufleistung keine weitere Darlegungslast des Geschädigten.
Schädiger hat Tatsachen darzulegen, aus denen sich ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht ergibt Darüber hinaus führt der BGH in seinem Urteil aus, dass der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit habe, sich zunächst hierauf verweisen lassen müsse. Rechne der Geschädigte — konkret oder fiktiv — die Kosten der Instandsetzung als Schaden ab und weise er die Erforderlichkeit der Mittel durch eine Reparaturkostenrechnung oder durch ein ordnungsgemäßes Gutachten eines Sachverständigen nach, habe der Schädiger die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht i.S.d. § 254 Abs. 2 BGB ergebe. Welche konkreten Anforderungen in diesem Zusammenhang an eine „gleichwertige“ Reparaturmöglichkeit zu stellen seien, hatte der BGH im Porsche-Urteil allerdings offen gelassen und diese Frage nunmehr entschieden.
Gleichwertigkeit der Reparatur
Die Zumutbarkeit für den Geschädigten, sich auf eine kostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, setzt jedenfalls eine technische Gleichwertigkeit der Reparatur voraus. Wolle der Schädiger mithin den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadenminderungspflicht i.S.d. § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, müsse der Schädiger darlegen und ggf. beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Dabei sind im Vergleich die (markt-)üblichen Preise der Werkstätten zugrunde zu legen. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Geschädigte im Rahmen seiner Schadenminderungspflicht nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerkstätten des Haftpflichtversicherers des Schädigers verweisen lassen muss. Anderenfalls würde die ihm nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen, die ihm die Möglichkeit der Schadenbehebung in eigener Regie eröffnet. Es entspreche dem gesetzlichen Bild des Schadenersatzes, wonach der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens sei und grundsätzlich selbst bestimmen dürfe, wie er mit der beschädigten Sache verfahre.
Ausnahme bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren
Stehe unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die Gleichwertigkeit der Reparatur zu einem günstigeren Preis fest, könne es für den Geschädigten gleichwohl unzumutbar sein, eine Reparaturmöglichkeit in dieser Werkstatt in Anspruch zu nehmen. Dies gelte vor allem bei Fahrzeug bis zum Alter von drei Jahren. Bei neuen bzw. neuwertigen Kraftfahrzeugen müsse sich der Geschädigte im Rahmen der Schadenabrechnung grundsätzlich nicht auf die Reparaturmöglichkeiten verweisen lassen, die ihm bei einer späteren Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten, eine Herstellergarantie und/oder von Kulanzleistungen Schwierigkeiten bereiten könnten. Im Interesse einer gleichmäßigen und praxisgerechten Regulierung bestehen deshalb bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken gegen eine (generelle) tatrichterliche Schätzung der erforderlichen Reparaturkosten nach den Stundenverrechnungssätzen einer markengebundenen Fachwerkstatt.
Differenzierung bei älteren Fahrzeugen erforderlich
Bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmen der Schadenabrechnung auf eine alternative Reparaturmöglichkeit außerhalb einer markengebundenen Fahrwerkstatt verweisen zu lassen. Denn auch bei älteren Fahrzeugen könne die Frage Bedeutung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, „scheckheftgepflegt“ oder ggf. nach einem Unfall repariert worden sei. Dabei bestehe — wie entsprechende Hinweise in Verkaufsanzeigen belegen — bei einem großen Teil des Publikums insbesondere wegen fehlender Überprüfungsmöglichkeiten die Vermutung, dass bei einer (regelmäßigen) Wartung und Reparatur eines Kraftfahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt eine höhere Wahrscheinlichkeit bestehe, dass diese ordnungsgemäß und fachgerecht erfolgt sei. Deshalb könne auch dieser Umstand es rechtfertigen, der Schadenabrechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde zu legen, obwohl der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer dem Geschädigten eine ohne weiteres zugängliche, gleichwertige und günstigere Reparaturmöglichkeit aufzeige. Dies könne etwa auch dann der Fall sein, wenn der Geschädigte konkret darlege, dass er sein Kraftfahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen oder — im Fall der konkreten Schadenberechnung — sein besonderes Interesse an einer solchen Reparatur durch die Reparaturrechnung belege.
Gegebenenfalls Vorlage von Urkunden/ Unterlagen erforderlich
Dabei könne der Tatrichter u.a. nach § 142 ZPO anordnen, dass der Geschädigte oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich der Geschädigte bezogen habe, etwa das „Scheckheft“ oder Rechnungen über die Durchführung von Reparatur- und/oder Wartungsarbeiten vorlegt.
Erforderliche Feststellung des Berufungsgericht im konkreten Fall
Im vom BGH zu entscheidenden Fall sind vom Kläger keine erheblichen Umstände dargelegt worden, nach denen ihm eine Reparatur seines 9 1/2 Jahre alten Fahrzeugs außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt auch unter dem Gesichtspunkt seiner Schadenminderungspflicht unzumutbar sein könnte. Die Beklagte war daher nicht daran gehindert, den Kläger auf eine gleichwertige günstigere Reparaturmöglichkeit zu verweisen. Der Rechtsstreit war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil dieses zur Frage der Gleichwertigkeit der aufgezeigten alternativen Reparaturmöglichkeit noch keine Feststellungen getroffen hat.
Anmerkung
Das sogenannte VW-Urteil des BGH ist als Fortentwicklung des Porsche-Urteils zu sehen. Nunmehr ist eindeutig geklärt, dass sich ein Geschädigter auch unter dem Gesichtspunkt der Schadenminderungspflicht nicht auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit verweisen lassen muss, wenn sein Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt nicht älter als drei Jahre war. Bei älteren Fahrzeugen ist danach zu differenzieren, ob das betroffene Fahrzeug bis zum Unfallzeitpunkt stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt gewartet und ggf. repariert wurde. Kann der Geschädigte dies z.B. durch ein Scheckheft, Inspektionsrechnungen oder Reparaturrechnungen konkret darlegen, muss er sich auch bei Fahrzeugen, die älter als drei Jahre sind, nicht auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit verweisen lassen. Das Urteil des BGH ist für die tägliche Praxis immanent wichtig, zugleich schafft es Klarheit bei der fiktiven Schadenregulierung. Quelle: Rechtsanwalt Dr. Stephan Schröder, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Kiel - Urteilsbesprechung mit Praxishinweis vom 18.01.2010